Für meinen Vater Helmut Ruge
Vor einem Jahr im
Oktober war der Dialog plötzlich unterbrochen, der lange Dialog mit meinem
Vater, der so unzählbar oft statt fand, durch alle Jahreszeiten hindurch, weil
Helmut immer Hunger hatte nach Austausch, schon als ganz kleines Kind kam er in
mein Kinderzimmer und sagte: „darf ich Dir meinen Text vorlesen ?“, den er
gerade geschrieben hatte, für die Bühne oder für´s Fernsehen, und so ging der
Dialog weiter, am Küchentisch, auf dem Fahrrad, beim Griechen an der Ecke und
weiter, als ich irgendwann von ihm zum Haus und Hofkomponisten, Regisseur und
Psychologen seiner Soloprogramme ernannt wurde,
und plötzlich vor
einem Jahr im Oktober, war die Stimme verstummt,
unsere Geschichte
war unterbrochen, das Orchester
hatte plötzlich aufgehört zu Spielen, aber die Symphonie wuchs unter dem Boden
weiter, wie im Wald, nur leiser, weil die Geschichte , die mein Vater mir
erzählt hat, mein ganzes Leben lang erzählt hat, plötzlich wiedererklang, als
ich in meinem Kopf alle Geschäftigkeiten anhielt, und alles an Terminen
absagte, was diese Musik zu übertönen wagte und dann erklang unsere ganze
Geschichte auf einmal, in mir, und sie ist nicht zu Ende, wie eine Geige, die eine verträumte
Strassenmelodie in einem Film von Fellini zum Klingen bringt, eine kleine Melodie, die Alles
verspricht, wie die vebeulte
Trompete eines Clowns und Jeder kann sie Hören, Jeder, der seine Ohren öffnet,
das Fenster aufmacht, zur Poesie, sie hört ,die geheimnisvolle Geschichte des
fragenden, staunenden und wundernden, sich räkelnden Herzens, die Geschichte,
die wir uns Allen ständig aufs Neue gegenseitig erzählen wollen, die wir
lebendig Halten Müssen, wie das Feuer, um das wir uns Versammeln, das uns
wärmt, um das wir zusammenkommen und in dem unsere Gesichter scheinen, leuchten
in der Nacht, mein Vater hat mir diese Geschichte erzählt, uns, er hat
zugehört, er war ein Geschichtenerzähler, er hat den Geschichten der Menschen
zugehört,
dem Lodern des
Herzens gelauscht, sich daran berauscht, wie an einem gehaltvollen Rotwein, aus
dem Fass der Geschichten, er hat das Feuer gehütet, das Vergessene Feuer, seine
Glut, sie neu entfacht, und erzählt, erzählt, erzählt, mit seinen eigenen
Worten, unaufhörlich und geradezu rastlos,
wie seine Feder
unzählige Blätter Füllte, bis zum Schluss sass er an seinem Schreibtisch, auch
am Morgen, als er auf plötzlich auf die Intensivstation kam, denn er war in seinem Leben immer
begierig auf immer neue Geschichten und begierig diese Geschichten weiter zu
erzählen, von Menschen, die er unterwegs traf und denen er zu hörte, auf dass Alle
Anderen von diesen Geschichten erfahren,
Er war begierig sie
zu mitzuteilen, aufzuschreiben an seinem getreuen Schreibtisch, um mit seinem
Schreibtisch zusammen selber Geschichte zu Schreiben, um an unserer gemeinsamen
Geschichte mitzuschreiben, von der er uns immer wieder erzählt hat, die davon
handelt, dass wir uns unsere Geschichte selber Schreiben können, Jeden Tag,
miteinander, leidenschaftlich in der Harmonie und im Streit,
im Wachen und im
Träumen, indem wir sie uns immer und immer wieder erzählen, schaun, wie sie
weitergeht, nicht in der Routine steckenbleiben, nicht in den Floskeln
erstarrren sondern die Schrift, die Tinte des Poeten weiterfliessen lassen,
rennen lassen ins Leben hinein, wie das Blut das unser Herz in unsere Adern,
unsere Glieder, Hände und Beine
pumpt, uns belebt, Dich und Mich,
neugierig wie ein
Kind, ganz aufgeregt, von unserer eigenen Geschichte, in ihr weitergehen
wollen, in ein stets und immer wieder neues, lockendes, buntes, fröhliches
Kapitel, und jedes Kapitel ist voll von Abenteuern und unzähligen
ungelösten Rätseln, und Liebesgeschichten, die noch keiner kennt, es liegt an
uns, jetzt seine Geschichte, die Geschichte meines Vaters, die kleine große
wunderbare Geschichte, die von uns handelt weiterzuerzählen!